Grundrente: Die Richtung stimmt, der Weg ist noch weit

GRndrenteAnlässlich der für diese Woche angekündigten Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zur Einführung einer Grundrente erklärt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen: „Die Entscheidung, eine Grundrente einzuführen ist ein überfälliger Schritt, der einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leistet und insbesondere Frauen zu Gute kommt. Durch die Einbeziehung von Bestandsrentner*innen kann er eine breite Wirkung entfalten.“

Positiv sei auch zu bewerten, dass der Anspruch auf Grundrente von Amts wegen ermittelt wird. Dadurch sei ausgeschlossen, dass Anspruchsberechtigte ihre Ansprüche nicht wahrnehmen und in verdeckter Armut leben müssten. „Gerade angesichts der verlässlichen Prognosen, nach denen auch in den nächsten Jahren mit einem Anstieg von Altersarmut zu rechnen ist, ist dieses Verfahren zu Einführung der Grundrente zu begrüßen“, so Carsten Tag. „Bedenkt man jedoch, dass für die Personen, die keine Grundrente beziehen können, nach wie vor ein hoher bürokratischer Aufwand gegeben ist, um eine Grundsicherung im Alter zu beantragen, fragt man sich, warum nicht auch für sie das Antragsverfahren auf Grundsicherung im Alter von Amts wegen ausgelöst werden kann. Wir wissen, dass viele ältere Menschen aus Scham, Unkenntnis oder anderen Gründen vor einer Antragsstellung zurückschrecken. Die jüngsten Studien sprechen davon, dass die Grundsicherung im Alter von rund 60 Prozent der Anspruchsberechtigten nicht abgerufen werden. Ein automatisch eingeleitetes Antragsverfahren von Amts wegen würde einen weiteren wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leisten.“

Instrumente zur sozialen Sicherung sollten nach Möglichkeit so eingesetzt werden, dass sie eine größtmögliche Wirkung entfalten. Zur Bekämpfung von Altersarmut sei es zudem wichtig, die Wurzel des Problems in den Blick zu nehmen: „Wir brauchen neben einer Grundrente und einer armutsfesten Grundsicherung im Alter einen Mindestlohn, der oberhalb der Armutsgefährdungsgrenze liegt. Die jetzt avisierten Erhöhungen des Mindestlohns gehen in die richtige Richtung, sind aber mit einer Minimierung des Niedriglohnsektors zu verbinden. Denn arbeiten und dennoch von Armut betroffen sein – das sollte es in unserem Land nicht geben.“ 

Hintergrund

Der im Bundestag beratene Gesetzentwurf zur Grundrente sieht vor, dass ab 2021 rund 1,3 Millionen Menschen mit kleinen Renten einen Zuschlag bekommen, wenn sie ausreichend Beitragszeiten nachweisen können. Ein Geringverdiener mit 35 Beitragsjahren oder anerkannten Jahren für Kindererziehung oder Pflege kann demnach unter bestimmten Voraussetzungen einen Zuschlag von bis zu 404,86 Euro monatlich erreichen. 

Situation in Hessen

Die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung lag in Hessen zuletzt (2018) bei 15,8 Prozent. Bei den 65-Jährigen oder älteren lag die Quote mit 14,9 Prozent zwar unter dem Landesdurchschnitt. Berücksichtigt man jedoch, dass der Anteil sieben Jahre zuvor noch bei 11,6 Prozent lag und von 2017 auf 2018 stärker gestiegen ist, als die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung, wird ein Trend erkennbar.[1]

Rund 50.000 Menschen im Rentenalter waren 2018 in Hessen auf eine Grundsicherung angewiesen d. h., die staatliche Rente der Betroffenen lag unterhalb der Armutsgrenze.

Laut jüngsten Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Grund-sicherung im Alter von rund 60 Prozent der Anspruchsberechtigten nicht in Anspruch genommen.[2] Statt den angenommenen 50.000 Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter muss daher für das Jahr 2018 eher von 81.000 Personen ausgegangen werden.

Vier Beispiele zu Altersarmut bei Frauen aus der diakonischen Beratungspraxis

Frau H., Jahrgang 1946, hat 3 Kinder weitgehend alleine erzogen, ihr Ehemann (Frührentner) hat sich vor vielen Jahren von ihr getrennt. Sie hat daraufhin langjährig als Altenpflegehelferin in Teilzeit gearbeitet. Trotz Trennung pflegt sie ihren mittlerweile pflegebedürftigen Ehemann in dessen Wohnung, denn sie ist wegen ihrer geringen Altersrente auf das Pflegegeld als zusätzliches Einkommen angewiesen. Grundsicherung will sie nicht beantragen, denn ihre Wohnung gilt als zu groß und sie müsste umziehen.

Frau M., Jahrgang 1940, ist verwitwet und hat früher gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Gastwirtschaft im eigenen Haus betrieben. Nun lebt sie in einer Mietwohnung. Den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses hat sie vor Jahren ihrem Schwiegersohn zur Geldanlage anvertraut. Das hat ihr einen Verlust von 4/5 der Verkaufssumme beschert. Der übriggebliebene Betrag ist trotz sparsamster Haushaltsführung fast aufgezehrt. Sie lebt von rund 500 Euro Witwenrente und erhält Wohngeld.

Frau A., Jahrgang 1939, ist seit 50 Jahren verheiratet. Sie lebt in der gemeinsamen Eigentumswohnung, ihr Ehemann aufgrund seines hohen Pflegebedarfs im nahen Pflegeheim. Den Eigenanteil an den Heimkosten finanziert das Paar alleine aus der Rente des Ehemannes, denn Frau A. möchte in ihrer vertrauten Wohnung bleiben und sie nicht wegen der Heimkosten aufgeben. Dadurch bleiben ihr nur 700 Euro für ihren Lebensunterhalt.

Frau K., Jahrgang 1942, geschieden, lebte mit Enkeltochter und deren Kind gemeinsam in einer 3-Zimmer-Wohnung, die sie nach deren Auszug weiter gehalten hat. Trotz geringer Rente erhält sie keine Grundsicherung, denn eine Lebensversicherung liegt 100 Euro über dem erlaubten Maximalsatz. Wohngeld erhält sie erst dann, wenn sie in eine kleinere Wohnung zieht, wozu sie nicht bereit ist.

Die vier Beispiele sind zufällig ausgewählt. Sie haben jedoch eines gemeinsam: In Armut geraten sind diese Frauen erst im Alter und ihre Armut ist verdeckt: trotz ihrer geringen Einkünfte tauchen sie nicht in der Statistik der Grundsicherungsempfängerinnen auf. Sie verzichten auf diese finanzielle Unterstützung, weil sie in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben und ihr Zuhause nicht aufgeben wollen. Dieses jeweilige Zuhause hält den Kriterien einer Bedarfsprüfung nicht stand. Dafür nehmen sie in Kauf, mit wenig Geld auszukommen. Das mag objektiv unvernünftig erscheinen, zeigt uns aber, wie – im wahrsten Sinne des Wortes – „hoch“ der Wert der gewohnten Umgebung im Alter zu sein scheint.

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[1] Altersarmut in Hessen 2017: 14,1 Prozent; 2018: 14,9 Prozent -> Anstieg um 0,8 Prozentpunkte Armut in Hessen            2017: 15,4 Prozent; 2018: 15,8 Prozent -> Anstieg um 0,4 Prozentpunkte Daten entnommen aus: http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/

2 https://www.diw.de/de/diw_01.c.699978.de/grundsicherung__hohe_rate_der_nichtinanspruchnahme_deutet_auf_hohe_verdeckte_altersarmut.html

 

 

Kontakt

Dr. Felix Blaser

Referent für Armutspolitik in der Diakonie Hessen

Felix.blaser@diakonie-hessen.de

Tel.: 069 7947-6321

 

 

 

Diakonie Hessen – Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege

Die Diakonie Hessen ist 2013 aus der Fusion des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau und des Diakonischen Werks in Kurhessen-Waldeck hervorgegangen. Sie ist Mitglieder- und Trägerverband für das evangelische Sozial- und Gesundheitswesen auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). Die Diakonie Hessen ist als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen, Rheinland-Pfalz und im thüringischen Schmalkalden tätig. Als Träger diakonischer Arbeit beschäftigt die Diakonie Hessen in den Landesgeschäftsstellen in Frankfurt und Kassel, im Evangelischen Fröbelseminar in Kassel, in den Evangelischen Freiwilligendiensten sowie in 17 regionalen Diakonischen Werken in Hessen und Nassau 1.698* Mitarbeitende. Dazu kommen 664 Freiwillige, die sich in einem Sozialen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst einbringen.

 

Als Mitgliederverband gehören der Diakonie Hessen zurzeit 446 Rechtsträger an. Dabei handelt es sich um 366 Vereine, Stiftungen und gemeinnützige Gesellschaften sowie die 31 Dekanate der EKHN, 20 Kirchenkreise der EKKW und 29 kirchliche Zweckverbände. Insgesamt bietet die Diakonie Hessen so etwa 1490 Angebote für die Pflege, Betreuung und Beratung sowie für die Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Bereichen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, in der Alten- und Krankenhilfe, Behinderten-, Eingliederungs- und Suchthilfe, Migrations- und Flüchtlingsberatung sowie in der Beratung von Menschen in besonderen sozialen Situationen an. Die Diakonie Hessen und ihre Mitglieder beschäftigen zusammen rund 42.000 Mitarbeitende und erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2018 einen Gesamtumsatz von knapp zwei Milliarden Euro. *Stand Oktober 2019