Eingliederungshilfe und Pflege können voneinander

Pressemeldung

Wiesbaden, den 11.10.2017

„Eingliederungshilfe und Pflege können voneinander

lernen“

Beim Fachtag der Liga Hessen „Quo vadis Eingliederungshilfe und Pflege?“ in Frankfurt diskutierten Experten aus Wissenschaft und Wohlfahrtsverbänden über mögliche Schnittstellen zwischen den refor-mierten Bereichen Pflege und Eingliederungshilfe

Eine ganze Reihe an neuen Gesetzen ist in den vergangenen Jahren im Sozial- und Gesundheitswesen in Kraft getreten: Die Reform der Pflege-versicherung durch die Pflegestärkungsgesetze und die Reform der Ein-gliederungshilfe durch das neue Bundesteilhabegesetz. So wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, der mehr Menschen in das System der Pflege einbezieht, die Auswirkungen aber auf pflegebedürftige Menschen mit Behinderung, die zudem auch Anspruch auf Eingliede-rungshilfe haben, sind vielfach ungeklärt.

Verschiedene Szenarien und Ausblicke haben Fachexperten, darunter Prof. Dr. Andreas Büscher, Professor für Pflegewissenschaft an der Hoch-schule Osnabrück, und Simone Schüller, Diplom-Soziologin an der TU Dortmund, beim Fachtag vorgestellt und in die Diskussion gegeben. Bü-scher bewertete die vom Bund vorgenommenen Reformen der Pflege zu-nächst positiv, da sich das Leistungsspektrum für pflegebedürftige Men-schen dadurch vergrößere, allerdings würden „dadurch nicht automatisch die fachlichen Rahmenbedingungen und Personalmangel in dem Sektor gelöst.“ Wichtig sei, Vertrauen in die Kompetenz der Fachkräfte zu haben und einen Schwerpunkt auf die Ausbildung im Bereich Pflege zu legen, gerade auch an Universitäten. Aufgrund der Komplexität und Anforderun-gen in der Pflege müssten mehr ausdifferenzierte Berufsbilder mit akade-mischer Qualifizierung angeboten werden.

Zwischen Pflege und Eingliederungshilfe bestehen Gemeinsamkeiten und Schnittstellen – darauf wiesen nicht nur Prof. Büscher und Simone Schül-ler hin. Auch die Experten-Runde beim Fachtag in Frankfurt, an der Ver-treter von Parität und Caritas, AOK und Landeswohlfahrtsverband Hessen teilnahmen, kam zu diesem Fazit. Aufgrund des demografischen Wandels, der Menschen mit Behinderung genauso betreffe, würde es in naher Zu-kunft stärker als bisher immer wieder zu einer Vermischung beider Berei-che – der Pflege und Eingliederungshilfe – kommen. Gerade deshalb wird es als eine gemeinsame Aufgabe angesehen, dass die verschiedenen Professionen voneinander lernen. Die Abgrenzungsfragen, die sich ge-rade daraus ergeben, dass ähnliche Leistungen in verschiedenen Geset-zen mit unterschiedlichen Zielrichtungen geregelt sind, führen oftmals dazu, dass Leistungsberechtigte wie auch Leistungserbringer mit Kosten-trägern über die Bewilligung von Leistungen diskutieren und streiten müs-sen.

Zudem wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass aufgrund fehlender Abgrenzungsregelungen in der Praxis der Alltag von Menschen mit Behin-derungen in einzelne Handlungen zerlegt wird, um herauszufinden, wel-che Handlung welchem Ziel dient. Dies führe dazu, dass man in der Praxis darüber diskutiere, ob die Unterstützung beim Toilettengang während des Kinobesuches nun zum Bereich der Eingliederungshilfe oder der Pflege gehöre. Dies wurde von allen Beteiligten als misslich angesehen. Trotz-dem sei aber auch wichtig, bei den Leistungen genau hinzusehen und zu definieren, welche Leistung unter Pflege, welche unter Eingliederungshilfe falle. In der Diskussion wurde zudem die Sorge geäußert, dass bei den neuen Reformen Wunsch und Wahlrecht der Betroffenen auf der Strecke bleiben könnten, weil es bei den gesetzlichen Reformen um Kostenein-sparung gehe.

Nichtsdestotrotz wagten die Teilnehmer der Experten-Runde einen zuver-sichtlichen Blick in die Zukunft. Die Reformen seien der richtige Weg hin zur Personenzentrierung, denn schließlich sei es vorrangig, auf die indivi-duelle Situation und die Wünsche der Betroffenen einzugehen. Viele De-tails in den Gesetzen seien allerdings noch unklar und müssten in der Pra-xis erprobt und eingeordnet werden.

Der Fachtag „uo vadis Eingliederungshilfe und Pflege?“ im Frankfurter Saalbau Gallus war mit 180 Teilnehmern sehr gut besucht und zeigt das große Interesse an den zahlreichen neuen Reformen im Sozial- und Ge-sundheitswesen und deren vielschichtigen Folgen für die Praxis.

Brigitte Roth

Stellvertretende Vorsitzende