Sozialraumorientierung im Odenwaldkreis in Theorie und Praxis

Infoabend: Demographischer Wandel, Sozialfonds und kooperative menschliche Lösungsansätze

     Gern und Hell                                 

 

Reichelsheim:  Was bedeutet Sozialraumorientierung und wie lassen sich europäische Entwicklungen auch für die Zukunft des Odenwaldkreises nutzbar machen, diese Fragen standen im Mittelpunkt der Informationsveranstaltung am 09. Juli 2014 im evangelischen Gemeindehaus. Veranstalter waren das Diakonische Werk Odenwald und das europe-direct-Informationszentrum des Kreises. Zu den Besuchern zählten hauptsächlich Fachkräfte aus sozialen Berufsbereichen und verschiedenen Kirchengemeinden.

Mit einigen Eckdaten zum Kreis empfing Bärbel Simon, Leiterin des Diakonischen Werks Odenwald, die zahlreichen Gäste. Zahlen, die angesichts des demographischen Wandels und der Arbeitsmarktsituation insbesondere den Rückgang der Bevölkerung, die Zunahme von älteren Menschen sowie Armut im Alter vor allem bei Frauen dokumentierten.  „Vieles an sozialer Versorgung  wäre im Odenwald ohne Ehrenamt nicht denkbar“,  unterstrich Bärbel Simon.

„Schwachheit zulassen ist entscheidend für eine Perspektive“, so Referent Dr. Wolfgang Gern, als Pfarrer betonte er die theologische, sozial-ethische Perspektive. Der Sozialraum Odenwald verändert sich rasant, so Gern, soziale Geborgenheit nimmt deutlich ab, Zuwanderung ist für den Generationennachwuchs notwendig. Ausländische Berufsabschlüsse sollten mehr anerkannt, das Leben auf dem Land für alle Generationen attraktiver gestaltet werden. Frauen, betonte der Pfarrer, tragen die Hauptlast des demographischen Wandels, 90 Prozent der häuslich Pflegenden sind Frauen. Soziale  Aufgaben in der Familie wahrnehmen bedeutet insbesondere für Frauen Armut im Alter. Mehr denn je gilt es Selbsthilfe und Solidarität zu fördern. „Schwäche ist kein Kennzeichen einer sozialen Gruppe, sie trifft uns alle am Anfang und Ende des Lebens.“ Kritik übte der Pfarrer an Regelungen der Pflegeversicherung.  „Alte Menschen müssen am Leben teilhaben können, jeder Mensch hat etwas zur Allgemeinheit beizutragen, unabhängig vom Gesundheitszustand.“ Netzwerke sind dringend notwendig, um ein Miteinander lebendig zu gestalten. Für die diakonische Kirche, unterstrich Gern, ist die soziale Krise Herausforderung wie Chance, im Glauben tätig zu werden. Um jedem in der christlichen Nächstenliebe gerecht zu werden ist ein Öffnen gegenüber Andersgläubigen wichtig. Auch ist es Aufgabe der Kirche, arme Menschen aus dem Rand der Gesellschaft wieder in das Gemeindeleben zu holen. Armutserfahrung bereichert auch Kirchenvorstände, so Gern.

Welche Wege in die EU-Fördertöpfe führen, hierüber informierte Dr. Ralf Hell, Politikwissenschaftler, Mitglied des Expertenteams „Team Europe“ und Experte für den Europäischen Sozialfonds (ESF). „Das Problem vieler Antragssteller ist die lokale Sichtweise,  anstelle den europäischen Mehrwert vor Augen zu haben“, stieg der Experte in das komplexe Thema ein. Ziel des ESF ist in den Menschen zu investieren, Odenwälder Beispiele sind das AWO-Mehrgenerationenhaus in Michelstadt oder die Kompetenzagentur in Erbach. Die aktuelle Förderperiode umfasst aus dem ESF 7,5 Milliarden Euro bundesweit, davon 1,7 Milliarden Euro für Hessen. Die Förderprogramme werden von Bund, Ländern und EU-Kommission abgesprochen, erklärte Hell. Intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sind die Förderziele. Das aktuelle Förderprogramm umfasst den Zeitraum von 2014 bis 2020, Anträge sollten bis zum frühen Herbst gestellt werden. Praktische Hilfe zur Antragsstellung leistet die bundesweite ESF-Regiestelle im Internet, eine unkomplizierte Interessenbekundung reicht als erster Schritt. Kompetente Partner erhöhen die Förderchance, so sein Tipp.

Als praktisches Beispiel für am Sozialraum orientierten Arbeiten stellten Beate Braner-Möhl und Gabriela Hund, Projektbeauftragte der Evangelischen Michaelsgemeinde, das „GenerationenNetz Reichelsheim“ vor. Kooperationspartner in diesem Projekt sind die Mary Anne Kübel Stiftung und das Diakonische Werk Odenwald.  Anliegen der gemeinsamen Arbeit ist die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu sichern oder sogar zu verbessern. Dies geschieht durch Vernetzung der Angebote von Institutionen und Organisationen und besonders durch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und unter Berücksichtigung von derer Wünsche und Bedürfnisse. Das „GenerationenNetz“ übernimmt hier eine Lotsenfunktion und versteht sich als Anlaufstelle für Fragen von Menschen in verschiedenen Lebenssituationen. Ein wichtiger Punkt ist die Hilfe zur Selbsthilfe beispielsweise in Form von nachbarschaftlichen Hilfen wie, Besuchsdienste, ergänzende Betreuung von Kindern. Besonders fördern will das Projekt das Miteinander der Generationen.