Diakonie Hessen Pressemitteilung Frankfurt am Main/Gießen,12.
November 2015 Diakonie-Chef Gern: Brauchen Humanität, die in eine neue Weltinnenpolitik ausstrahlt
211 Vertreter der Diakonie Hessen tagten in Gießen – Theologischer Vorstand Rühl: Ökonomie darf bei Begleitung Sterbender kein bestimmender Faktor sein
Für den Schutz von minderjährigen Flüchtlingen hat sich Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, anlässlich der Mitgliederversammlung des evangelischen Wohlfahrtsverbandes ausgesprochen. Mit großer Sorge betrachte er die aktuelle Umsetzung eines neuen Gesetzes zur Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Sie führe dazu, dass junge Menschen in Kommunen und Landkreisen stranden, die keine hinreichenden Jugendhilfestrukturen hätten und den Aufgaben offenbar nicht gewachsen seien. „Das darf nicht auf dem Rücken von Flüchtlingskindern ausgetragen werden“, so Gern. „Das Kindeswohl muss Vorrang haben.“ Zu ihrer jährlichen Mitgliederversammlung waren heute 211 Vertreter der Diakonie Hessen unter Vorsitz des ehemaligen rheinland-pfälzischen Innenministers Karl Peter Bruch in der Kongresshalle in Gießen zusammengekommen.
Der Diakonie-Chef wandte sich weiter gegen aktuelle Pläne, den Schutzstatus für syrische Flüchtlinge abzusenken, um den Familiennachzug aussetzen zu können. Wörtlich sagte er: „Der Schutz von Ehe und Familie ist ein hohes Gut, das nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte, nur um Flüchtlinge abzuschrecken. Familien, die vor Terror in ihrem Land fliehen, müssen bei uns Schutz finden können. Alles andere ist ethisch nicht zu verantworten.“
Wolfgang Gern: Auch in Herkunftsländern muss es Gerechtigkeit und Frieden geben
Anschließend sagte der Diakonie-Chef vor Journalisten: „Wir können für unser Land in Anspruch nehmen, dass wir durch fast sechzig Jahre Entwicklungspolitik und durch kräftige Hilfen beim demokratischen Aufbau genau dies wollten: die Unabhängigkeit und Souveränität der Dritten Welt stärken. Aber wir müssen auch fragen: Was ist geschehen, was war Etikettenschwindel, was haben wir unterlassen?“ Er forderte auf, „in unserem Land verstärkt darüber zu sprechen, was dazu beigetragen werden kann, damit Menschen in ihren Herkunftsländern ein gelingendes Leben in Gerechtigkeit und Frieden gestalten können. Eine solche Humanität, die in eine neue Weltinnenpolitik ausstrahlt, ist dringend notwendig.“
Karl Peter Bruch, Staatsminister a. D.: Diakonie leistet Unterstützung ohne „Wenn und Aber“
Der Vorsitzende der Mitgliederversammlung, Staatsminister a. D. Karl Peter Bruch, sagte, nach einem erfolgreichen Jahr der Diakonie Hessen sei die Mitgliederversammlung nun ein guter Abschluss. Bruch wörtlich: „Der Verband hat mit seinen Mitgliedern und den zu ihm gehörenden regionalen Diakonischen Werken dazu beigetragen, dass unzählige Menschen, die in Krisen- und Notsituationen Rat und Hilfe brauchen, in der Diakonie die notwendige Unterstützung bekommen – vorbehaltlos und ohne ‚Wenn und Aber‘.“ Die Vertretung sozialpolitischer Interessen gegenüber der Politik, das Einmischen im Sinne der Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, und die tatkräftige Unterstützung in konkreten Situationen habe auch in diesem Jahr die Arbeit der Diakonie in allen Bereichen ausgezeichnet, sagte der Vorsitzende der Versammlung. Er dankte allen Mitarbeitenden der Diakonie Hessen für „diese wichtige Arbeit, die in allen Bereichen der Gesellschaft spürbar ist.“
Vorstand Horst Rühl: Würde von Sterbenden im Mittelpunkt des diakonischen Auftrags
Pfarrer Horst Rühl, theologischer Vorstand der Diakonie Hessen, begrüßte die Klarheit, mit der sich der Bundestag gegen die geschäftsmäßig ausgeübte Sterbehilfe ausgesprochen hat. Gleichzeitig betonte Rühl, dass das Gesetz zur palliativen und hospizlichen Versorgung sterbender Menschen in Deutschland nur ein erster Schritt sein könne. Der Diakonie-Vorstand sagte wörtlich: „Die pflegerische Betreuung von Menschen am Lebensende, die auch deren Familie und Freunde einbezieht, ist zeitaufwändig, braucht Qualifikation und muss achtsam geschehen. Hier muss Politik nachlegen.“ Rühl sagte weiter: „Die Würde von Sterbenden, unabhängig von Lebenssituation und sozialem Status, steht im Mittelpunkt unseres diakonischen Auftrags. Die Ökonomie darf bei der Begleitung Sterbender nicht der bestimmende Faktor sein.“ Der Theologe wies weiter darauf hin: „Wir sind dabei, in unserer Gesellschaft die Frage des Leidens und Sterbens gänzlich zu verdrängen. Aber es darf nicht sein, dass wir zu einer ‚Perfektionsgesellschaft‘ werden, in der Leiden und Sterben keinen Platz haben. Diese elementaren Erfahrungen gehören zum Menschsein dazu. Menschen können Leid gemeinsam tragen, aushalten und auch bewältigen, das können höchst wertvolle Lebenserfahrungen sein. So kann aus mancher Grenzsituation eine Erfahrung werden, die das Leben reich und würdevoll macht.“ Rühl erinnerte daran, dass nicht nur mehr professionelles Pflegepersonal in den Palliativeinrichtungen und palliativen Stationen von Kliniken nötig sei, sondern auch auf den anderen Stationen der Krankenhäuser, um personell eine bedarfsgerechte Palliativversorgung und hospizliche Begleitung zu gewährleisten. Trotz aller Verbesserungen bei der Betreuung sterbender Menschen und trotz allen Engagements in der Palliativversorgung und Hospizarbeit würden immer noch Menschen von ambulanten und stationären Versorgungsangeboten nicht oder nicht ausreichend versorgt. Das müsse anders werden, so Horst Rühl.